Eine Blume aus Freude an der Musik – mit Goethe im Einklang
Die Viola Campanula: ein Meilenstein in der Entwicklung neuer Streichinstrumente. Eine außergewöhnliche Präsentation im Goethe-Museum Düsseldorf
Von Hartwig Frankenberg
Mit sonniger Außenbegleitung, die goldener nicht hätte sein können, fanden Anfang Oktober Musikfreunde und Freunde Goethes zu einer außergewöhnlichen Präsentation im Düsseldorfer Goethe-Museum zusammen. Die würdige Institution im Schloss Jägerhof, Stadtteil Pempelfort, hat in den letzten Jahren vor allem auch die virtuellen Optionen ihres Dichter-Patrons hervorgekehrt – gemeint sind die avantgardistischen Ansätze in seinem Denken und Schaffen. So kann man hier unter dem Titel „Jazz bei Goethe“ alle paar Monate von Dr. Barbara Steingießer kuratierte Konzerte internationaler Größen hören, wie zuletzt den finnischen Pianisten Iiro Rantala mit seinem schwedischen Partner Ulf Wakenius auf der Gitarre. Und wenige Tage zuvor wurde die mehrmonatige Ausstellung „Taten des Lichts: Mack & Goethe“ mit großem Publikumserfolg erst nach einer mehrwöchigen Verlängerung beendet.
Die Glockenblume als schöpferische Vorgabe
Am besagten Sonnen-Tag (07.10.) hatte das Goethe-Museum am frühen Nachmittag zu einer erfreulich gut besuchten Veranstaltung geladen. Angesagt war ein im besten Sinne „mehrstimmiger“ Aufbruch mit neuen Schöpfungen zu ganz neuen Ufern: Als Ideengeber stand dabei eine (auch) wild lebende Pflanze, die Glockenblume (lat. Campanula), im Mittelpunkt musikalischer und philosophisch-ideeller Interessen.
Uraufführung: „Glockenblumengesänge“
Nach Begrüßung durch den Hausherrn, Prof. Dr. Christof Wingertszahn, und Kurz-Einführung des Dortmunder Juristen Hartmut O. Horst, Spiritus Rector des Projektes, ertönte, ja erschallte raum- und seelenfüllend als Uraufführung die fünfsätzige Komposition „Glockenblumengesänge“ des zeitgenössischen Komponisten Markus Schönewolf (Kürten) nach Gedichten von Hartmut O. Horst. Es handelt sich um ein umfangreiches kammermusikalisches Werk, das der Komponist zwei Saiten-Instrumenten gewidmet hatte: einer traditionellen Konzertharfe, gespielt von Jie Zhou (derzeit Solo-Harfenistin beim Gürzenich-Orchester/Oper Köln), und dem instrumentellen Star des Tages, einer Viola Campanula – zum wunderbaren Klingen gebracht durch die Bratschistin Catriona Böhme (Weimar).
Form und Name als schöpferischer Auftrag
Die Viola Campanula ist ein neuartiges, vom Instrumentenbauer Helmut Bleffert „nach einem Pflanzenbild“ entwickeltes Streichinstrument, das in der Form der bekannten Bratsche sehr ähnlich ist. Auch mit seinem wohlklingenden, lateinischen Namen war und ist das Instrument Ausgangs- und Zielpunkt aller gemeinsamen Bemühungen – auch für den 7. Oktober in Düsseldorf! Goethe hätte seine Freude gehabt!
Die Klang-Aura des Instrumentes: betörend und charaktervoll zugleich! Die Viola Campanula verfügt neben den vier gestrichenen Spielsaiten der klassischen Viola (c–g–d–a) über dem Griffbrett – jedoch über (11) weitere, sogenannte Resonanzsaiten, die unter dem Griffbrett verlaufen und speziell (oberton-verstärkend) gestimmt sind. Der Klang, der sich aus dieser instrumentalen Disposition ergibt, ist ungeheuer betörend und erstaunlich charaktervoll zugleich! „Das Instrument gilt mittlerweile als große Bereicherung unter den Streichinstrumenten“, so der Komponist Schönewolf. Mit dem üblichen Klang-Raum einer Bratsche, oder der Viola d’amore, oder einem Baryton hat das nicht mehr viel gemeinsam! Der Leser überzeuge sich selbst anhand der verzeichneten Informationen und Hörbeispiele (s.u.).
Die Viola Campanula hat viele Spiel- und Klang-Möglichkeiten
Catriona Böhme ist ebenfalls von den vielen verschiedenen Spielweisen und Klang-Möglichkeiten der Viola Campanula sehr angetan: „Das Zukunftsweisende sehe ich vor allem darin, dass es eine ganze Gattung dieser Instrumente gibt: Celli, Geigen, Bratschen – da könnte man in der Zukunft wirklich einiges gestalten. Für die Viola Campanula gibt es bereits zwei Originalkompositionen, und ich freue mich unglaublich über dieses Interesse!“ Davon konnten wir eine Komposition als Uraufführung von Markus Schönewolf im Düsseldorfer Goethe-Museum hören. Beide Werke wurden der Interpretin gewidmet.
Goethe und die Glockenblume
Dass die Viola Campanula nicht nur eine Weiterentwicklung der herkömmlichen Bratsche darstellt, sondern zugleich eine ideengeschichtliche Erfüllung verkörpert, bewies der Publizist und Goethe-Kenner Dr. Manfred Osten mit seinem brillanten, frei gehaltenen Vortrag „Goethe und die Glockenblume. Zur Aktualität des Goethe’schen Wahrheitsbegriffs von Kunst und Natur“. Dabei durchmaß er – völlig im Sinne Goethes – mehrere fachliche und gedankliche Komplexe bis in die aktuelle Gegenwart hinein. Verbindungen, die ebenso Natur, Kunst und Poesie sowie Tod und Leben aufeinander beziehen. Ausgehend von den Begriffen Natura naturans (als schöpferische Macht und ursprüngliche Künstlerin im pantheistischen Sinne) und Natura naturata (als geschaffene Natur) bei Baruch de Spinoza, kündigt sich, nach Manfred Osten, „in der Glockenblume als Natura naturata die Natura naturans an.“ Könnte damit nicht die Glockenblume der Urpflanze sehr nahekommen – so wie sie sich einst Gothe als real existierend erhoffte?
Es hängt alles im Innersten zusammen!
Eines der in der Komposition von Markus Schönewolf verarbeiteten Gedichte von Hartmut O. Horst trägt den Titel „Glockenblume“. Fast jede Phrase des motivisch-thematisch eng verflochtenen Werkes „Glockenblumengesänge“ verweist im kreativen Sinne auf die besondere, implizit musikalische Ton-Signatur der Campanula – ob als Pflanze, als Goethe’sche Idee, als Musik-Instrument, als Gedicht – und schließlich als musikalische Komposition! So erklingt schon der Name „Campanula“ bereits zu Beginn des Werkes in Form von musikalischen Tönen – gespielt von der Viola Campanula. Aus diesem Anfangs-Motiv entfaltet sich dann ein Campanula-Thema, welches die gesamte Komposition erfüllend durchzieht. So ist das Gesamtkunstwerk aus Blume, Name, Idee, Gedicht, Instrument, Musik-Komposition und Vortrag nicht etwa nur ein hübscher „interdisziplinärer Ansatz“ – sondern eine in allen Teilen innerlich und äußerlich (genotypisch/phänotypisch) substantielle Größe – fest miteinander verbunden, wie es der erste Vers des Gedichtes „Glockenblume“ vielleicht sogar meint. Hängt so nicht alles im Innersten zusammen?
Glockenblume
In deinem Herzen faßt du jenes Andere.
Gefühltes schwingt aus deinen Tiefen im Erklingen.
Dein Hauch ist fortgegeben,
zitternder und stiller noch als eine Bitte, ganz fein,
als wolltest du aus deiner kleinen zärtlichen Gestalt
das Lied des Windes wie ein Sternenwehn
in meine Seele legen.
Und wunderbarer wird aus blühender Berührung
Wirklichkeit und Leben.
– Hartmut Oliver Horst –
Hartwig Frankenberg, Neue Chorszene – Ausgabe 1/19, Nr. 30, Januar 2019, S. 72–75