Lieder im EntgleitenFür Bariton und Orchester
Die Vergänglichkeit stürzt überall
In ein tiefes Sein.
Auch das Schöne muss sterben.
Doch alle, die in Schönheit gehn,
werden in Schönheit auferstehn.
Die Lieder im Entgleiten sind ein Werk für Bariton und großes Orchester, ein textausdeutendes Tongemälde in sieben Stationen zuzüglich Epilog, das zwischen klanggewaltigen Passagen und den Solisten tragenden zarten Farbnuancen des Orchesters oszilliert, Texte unterschiedlicher Epochen und Gattungen in einer schöpferischen Synthese zu einem dicht gewebten und oftmals polyphonen Geflecht vielzähliger musikalischer Motive verbindend.
Text und Musik nehmen das Publikum mit auf eine emotionale Reise zu Quellen überzeitlicher Weisheiten und Erkenntnissen, die Erschütterungsthemen menschlichen Seins beleuchtend bis hin zu einer Verklärung.
Das Libretto verarbeitet literarische Werke aus viereinhalb Jahrtausenden – altägyptische Lyrik verbindet sich mit Texten der Bibel, Dichtungen unter anderem von Paul Celan, Jean de la Croix, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin, Hartmut Oliver Horst, Justinus Kerner, Michelangelo, Alexander Pope, Rainer Maria Rilke, Friedrich Schiller, philosophischen Aphorismen, Sentenzen und Erkenntnissen. Bedingt durch den vielschichtigen Aufbau des Librettos vereint die Musik formale Aspekte des Liedhaft-Lyrischen, der dramatischen Handlung, des Rezitativs, des Sinfonischen, des Melodramatischen und der Solokantate.
Gedanken zu Endlichkeit, doch auch die Feier des Hierseins und eine Perspektive des Ewigen prägen Station I. Motive werden auf- und vorgestellt, die das gesamte Werk durchziehen werden – Motive der Sehnsucht, des Rätsels, des Kranichzugs, solche des Lichts und der Sonne.
Der zweite Teil, „Weisheiten“, ist ein dramatischer. Das lyrische Ich hält Zwiesprache mit sich selbst und seiner Seele, Weisheiten empfangend und diese an das Publikum gerichtet weitergebend.
Einer Todesverkündigung und einem Staunen ob der neuen Wirklichkeit folgt eine magische Handlung und – nicht hörbar – Worte eines Zaubers, ein Übergangsritual versinnbildlichend.
Die abschließende Verklärung ist eine Verklärung im Sange. „Gesang ist Ewigsein“ ist die den Zyklus beschießende und auf eine Zeit der Unzeitlichkeit verweisende Aussage, die der Komponist den Sonetten an Orpheus Rainer Maria Rilkes abgewonnen hat.
So feiert der vorliegende Zyklus in seinem Tiefsten und Höchsten – das Leben.
Die Musik der Lieder im Entgleiten entfacht eine Seelenkontrapunktik harmonischer und dissonanter Kontrastierungen der gegensätzlichen Wesenheiten von Leben und Tod. Ihr Melos trägt zugleich die seelischen Motive der Singstimme im Triumpfgesang einer Verklärung.
Wenn der Philosoph Wolfram Eilenberger schreibt, der Mensch – zumindest in der heutigen Zeit und der westlichen, abendländischen Welt – leide an einer „Transzendenz-Armut“, mag das vorliegende Werk auch der Versuch sein, den Menschen wieder mit sich selbst, seinem Leben und Sterben, seiner Um- und Mitwelt zu verbinden, die Ahnung einer den Erfahrungshorizont der Endlichkeit übersteigenden Wirklichkeit zulassend.

Dem Zyklus zugeordnet ist ein Bild Edvard Munchs. Es zeigt einen Sonnenaufgang über dem Fjord, ein Motiv, das Munch mindestens achtmal festgehalten hat. Munch, der eher einer ‚Düsternis‘ zuneigt, zeigt hier das Licht eines neuen Tags, das nach den altägyptischen Mythen auf ein neues, ewiges Leben, ein Leben im Lichtland hinweisen mag. Der Lichtstrahl, der im Wasser stehend das Land blau berührt, scheint einer Person gleich, die gleichsam verklärt auf den Punkt im Zentrum der Sonne schaut, um auf diesen zuzuschreiten.