Essay Hartmut Oliver Horst und Rede Manfred Osten

Anlässlich der Uraufführung der Glockenblumengesänge hat der Universalgelehrte und Goethe-Forscher Dr. Manfred Osten den Einführungsvortrag (siehe Video unten) gehalten und Goethe in seiner philosophischen und naturwissenschaftlichen Betrachtung der Pflanzen – insbesondere auch der Glockenblume – mit der Komposition verbunden.

Der Lyriker und Essayist Hartmut Oliver Horst nimmt Uraufführung und Rede zum Anlass, sich in seinem Essay Schönheit, Freiheit, Liebe ausführlich über Goethe und die Glockenblumengesänge zu äußern, indem er schreibt:

 

Die der Natur immanente Transzendenz drückt Goethe tiefgründig aus in seinem Gedicht „Metamorphose der Pflanzen“:

„Jede Pflanze verkündet dir nun die ewigen Gesetze,
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier die heiligen Lettern,
Überall siehst du sie dann in verändertem Zug.

Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt
Denke, wie mannigfach die, bald jene Gestalten,
Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!“

Vielleicht hat Goethe auch vor einer Glockenblume gestanden, die er als „jene Blume bezeichnet, die lauter und lauter mit dir spricht“ als jene „mystische Blume“, die er als Pflanze in einem universalen Zusammenhang betrachtet als eine Symbolbedeutung, als idealisierende Symbolik, wie sie im Bereich der Musik dem Komponisten Markus Schönewolf in der Komposition seiner „Glockenblumengesänge“ gelingt.

Dieses – wie Rilke es nennt – „unendlichen Empfangs“ einer Schönheit und Zartheit, die sich in der Blume verkörpert und die zugleich eine metaphysische Teilhabe der Blume am Sein ausdrückt, ins Innere verschließend, es in Inneres verwandelnd und es zu Tönen verschmelzend, diese Synthese ist dem Komponisten gelungen!

Es klanglich in eine Einheit zu binden, schafft zugleich einen Einklang von „Natur und Kunst“ im goetheschen Sinne.

Das Gefühl einer tiefen Beglückung, diesen „Einklang“ nicht nur zu hören, sondern auch aus der Fülle musikalischer Eingebungen zu fühlen, das ist dem Komponisten Markus Schönewolf in seiner subtilen Tonsprache ebenso gelungen!

Rein und innig ertönt die Natur als erklingendes und als ein sehr persönliches Naturgefühl des Komponisten zu uns!

Die Komposition ist eine in sich geschlossene Klang-Welt, ein in ihrer Ausdeutung aus feinsten Motiven erklingendes Gebilde, zugleich eine musikalische Symbolbildung von wunderbarer Natürlichkeit, wie es Goethe einmal in dem Satz zusammengefasst hat: „Es ist eine Art Symbolik für’s Ohr, wonach der Gegenstand weder nachgeahmt noch gemalt wird, sondern es ist eine Imagination, die auf eine ganz eigene und unbegreifliche Weise hervorgebracht wird“!

Dieses seelisch verstandene Innen-Dasein einer Blume – verwandelt in Töne – die geheimnisvollen Zusammenhänge, die Schönes aus Wahrhaftigkeit hervorbringt und als Inneres in ihren Gestalten und Gestaltungen zu vergeistigen vermag – etwas, das Goethe in seinem Gedicht „Metamorphose der Pflanzen“ preisend verkündet – lässt es glaubhaft erscheinen, dass Goethe die „Glockenblumengesänge“ des Komponisten Markus Schönewolf „längst vorweg gehört hat“, wie der Goethe-Kenner Manfred Osten es zum Ausdruck brachte.

Wie in einer Synthese verschmelzen die „Glockenblumengesänge“ „Natur und Kunst“ zu einem Einklang, den Goethe nicht nur geistig erfasste, sondern im „naturfrommen Lied“ einer natura naturans (im Sinne Spinozas) auch hörte, indem er die Pflanzen und am Beispiel der Glockenblume diese in einem universalen Zusammenhang betrachtet als Symboldeutung eines „Schöpfungs-Liedes“, das eine metaphysische Teilhabe am Sein ausdrückt, einer uns liebend umfangenden Natur wie es uns Goethe in einem Gedicht sagt:

Ich weiß, daß mir nichts angehört
Als der Gedanke, der ungestört
Aus meiner Seele will fließen,
Und jeder günstige Augenblick,
Den mich ein liebendes Geschick
Von Grund aus läßt genießen.

Dieses „liebende Geschick“ deutet Goethe als die uns umfangende Liebe der natura naturans, die den Menschen erschafft und ihm – und allem Sein – alles schenkt, seine Gestalt, seine geistigen Fähigkeiten, seine seelische Substanz – all das ist Geschenk einer uns liebend erschaffenden Schöpfung, ein Geschenk, das auch aus diesem „naturfrommen Lied“ der Blumen zu uns tönt („Gott liebt die Menschen in den Blumen“, wie Goethe es sagt), und dieser Einklang, in musikalische Eingebung gebunden, tönt auch auf in den „Glockenblumengesängen“, die darin dem „naturfrommen Liede“ begegnen, einem Lied, das Goethe gehört hat, und deshalb auch hat er die „Glockenblumengesänge“ des Komponisten Markus Schönewolf längst vorweg gehört – wie es der Goethe-Forscher und profunde Kenner der goethischen Geisteswelt, Manfred Osten, in seiner Rede zur Uraufführung der „Glockenblumengesänge“ ausführte – denn hat nicht gerade Goethe die ins Unendliche transzendierende Schöpfungswirklichkeit – auch in der Kunst – als etwas Gleichnishaftes verstanden und gedeutet!

Glockenblumengesänge