W. A. Mozart, Requiem
„[…] da der Tod, genau zu nehmen, der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sonders recht viel beruhigendes und tröstendes! und ich danke meinem Gott, daß er mir das Glück gegönnt hat mir die Gelegenheit […] zu verschaffen, ihn als den schlüssel zu unserer wahren Glückseeligkeit kennen zu lernen.“
Das Todesjahr
Das Jahr 1791 war für Mozart ein überaus arbeitsreiches und produktives.
Sein letztes Klavierkonzert, das Klarinettenkonzert, die Kleine Freimaurerkantate und zahlreiche weitere Werke stammen aus dieser Zeit. Im Frühjahr bat Logenbruder Emanuel Schikaneder Mozart um die Vertonung seines Zauberflötenlibrettos.
Der schriftliche Auftrag zur Komposition einer Totenmesse wurde Mozart von einem Unbekannten im Auftrage eines anonymen Absenders zugetragen. Der Unbekannte suchte Mozart in der nächsten Zeit mehrfach auf, zuletzt unmittelbar vor der Abreise nach Prag, wo Mozart die in aller Eile zur Krönung Leopolds II. vollendete opera seria La Clemenza di Tito aufführte, und gewährte ihm einen großzügigen finanziellen Vorschuss, so dass Mozart den Kompositionsauftrag annahm.
Zurück in Wien begannen Mitte September die Proben für das Singspiel Die Zauberflöte, das am 30. September vielumjubelt aus der Taufe gehoben wurde.
Erst um den 10. Oktober beginnt Mozart mit der Komposition der Totenmesse. Nachdem er am 18. November noch die wenige Tage zuvor vollendete Kleine Freimaurerkante dirigieren konnte, ist Mozart bereits am 20. November gezwungen, das Krankenlager aufzusuchen, von wo aus er am 4. Dezember eine improvisierte Probe der fertigen Teile des Requiems abgehalten haben soll; dem Gesundheitszustand nach zu urteilen ist dies jedoch eher unwahrscheinlich. Am 5. Dezember stirbt das junge Genie um ein Uhr nachts.
Zwei Tage später wird der Leichnam in einer kleinen Prozession aus Geistlichen, Freunden, Verwandten und Kollegen in die Kreuzkapelle des Stephansdoms überführt und eingesegnet. Bekannt ist, dass Mozart lediglich ein Armenbegräbnis dritter Klasse in Abwesenheit von Freunden und Verwandten in einem Massengrab zuteil wurde, und noch heute rügt man in diesem Zusammenhang die Pietätlosigkeit vor allem von Ehefrau Konstanze; doch folgten die Trauernden lediglich den Begräbnisordnungen Josefs II. vom 23. August 1784: Diese sahen unter anderem die Versenkung des Leichnams ohne jegliches Gepränge in einem Leichensack (ab dem 27. Januar 1785 waren Särge wieder zugelassen) in ein Massengrab für vier Erwachsene und zwei Kinder auf einem außerhalb der Ortschaft gelegenen Friedhof vor. Das Anbringen eines Grabmals war lediglich an der Friedhofsmauer gestattet. Somit entsprach das Begräbnis Mozarts, der laut Totenbuch immerhin in einem Sarg bestattet wurde, den Gepflogenheiten des Josephinischen Zeitalters. Eine moralische Bewertung nach heutigen Maßstäben ist schlechterdings anachronistisch.
Später hat Konstanze versucht, die letzte Ruhestätte ihres Gatten ausfindig zu machen – vielleicht glücklicherweise vergebens; denn so ist Mozarts Gebeinen der Schädelkult der anbrechenden Biedermeierzeit erspart geblieben, ganz im Gegensatz zu Joseph Haydn, dessen Schädel erst im Jahre 1954 (!) neben den übrigen Gebeinen bestattet werden konnte.
Konstanze übergab Joseph Eybler den Torso der Totenmesse zur Komplettierung. Da dieser aus Bescheidenheit oder Unvermögen nach wenigen kompositorischen Ansätzen ablehnte, wandte sie sich an den Mozart-Schüler und -Freund Franz Xaver Süßmayr, der die Komposition zu Ende führte und mit der gefälschten Unterschrift di me W. A. Mozart mpr 1792 dem Auftraggeber aushändigte.
Der unbekannte Auftraggeber
Die anonyme Vergabe des Kompositionsauftrags wurde in der Romantik zunehmend mystifiziert: So ist von einem grauen Boten mit Maske und dunklem Umhang die Rede, und noch heute halten sich diese Gerüchte hartnäckig, obwohl bereits kurz nach Mozarts Tod bekannt wurde, dass der Musikliebhaber Graf von Walsegg-Stuppach die Komposition der Totenmesse, die er jährlich zum Todestag seiner jung verstorbenen Frau Anna möglicherweise als eigene Komposition aufführen lassen wollte, in Auftrag gab. Tatsächlich fand eine Aufführung zu eben diesem Anlass am 14. Dezember 1793 statt. (Das Auditorium äußerte angeblich berechtigte Zweifel an der Authentizität der Autorenschaft des Grafen Walsegg.) Uraufgeführt wurde das Requiem jedoch ein knappes Jahr zuvor zum Angedenken an Mozart. Bei dem Boten handelt es sich wahrscheinlich um den gräflichen Gutsverwalter Franz Anton Leitgeb.
Die Todesursache

Auch fielen Gerüchte, Mozart sei eines widernatürlichen Todes gestorben, auf fruchtbaren Boden. ‚Populär‘ geworden ist vor allem die Theorie, Mozarts musikalischer Widersacher Antonio Salieri habe den Komponisten vergiftet, ein Vorwurf, unter dem Salieri bereits zu Lebzeiten zu leiden hatte. So rechtfertigte er sich noch auf dem Sterbebett vor seinem Schüler Ignaz Moscheles:
„Sie wissen ja, – Mozart, ich soll ihn vergiftet haben. Aber nein, Bosheit, lauter Bosheit, sagen Sie es der Welt, lieber Moscheles; der alte Salieri, der bald stirbt, hat es Ihnen gesagt.“
Mozarts Ärzte nennen „hitziges Frieselfieber“ als Todesursache, welches Carl Bär in den 1970er Jahren als rheumatisches Fieber identifiziert, gestützt durch die Tatsache, dass Mozart bereits seit früher Kindheit an Gelenkrheumatismus litt. Zusätzlich muss der Organismus durch den hohen Blutverlust beim Aderlass und eventuelle Infektionen stark geschwächt worden sein.
Requiem d-Moll KV 626
Heute gilt die Totenmesse als eins der größten Werke Mozarts. Es stellt eine Synthese aus Kirchenmusikalischem, opernhaft Dramatischem, barocker Gelehrtheit und galantem Stil dar. Die düstere Orchesterfarbe ist bedingt durch den Einsatz zweier Bassetthörner (Tenorklarinetten in F) mit ihrem dunklen, weichen Timbre, die anstelle der hellen Flöten- und Oboenpaare den übrigen Holzbläsern zur Seite gestellt werden. Auch zieht Mozart das von ihm eher selten eingesetzt Posaunentrio heran; eine der Posaunen ruft im Tuba mirum textausdeutend zum jüngsten Gericht.
Der symbolträchtige Introitus und die Kyrie-Doppelfuge mit dem charakteristischen verminderten Septfall im Thema, das auf ein im Barock häufig verwendetes Thema zurückgeht (u. a. von Händel verwendet, dessen Messias Mozart bearbeitet hat), und dem terzlosen, d. h. perfekten Schlussklang konnte Mozart komplettieren, andere Teile des Werks sind von Mozart unvollständig hinterlassen worden, wieder andere Sätze stammen ganz aus Süßmayrs Feder. So konnte Mozart von der großen Sequenz größtenteils den Vokalpart, den bezifferten Bass (damit einhergehend also die vollständige Harmonisation) und wichtige Orchesterstimmen niederschreiben, die Aussetzung des übrigen Orchestersatzes besorgte Süßmayr. Aufgrund satztechnischer Fehler und instrumentationstechnischer Details lassen sich die Süßmayr’schen Ergänzungen weitgehend lokalisieren, auch wenn die Frage um die genauen Anteile Süßmayrs nicht rechtlos geklärt ist.
Nur bis Takt acht konnte Mozart das Lacrimosa, das durch zahlreiche Exclamationes und Seufzermotive charakterisiert ist, ausführen, wobei es sich hier vermutlich um die letzten Töne handelt, die Mozart geschrieben hat. Die Fortsetzung besorgte Süßmayr. Mozart hatte für das die Sequenz beschließende Amen den Beginn einer weiteren Doppelfuge skizziert, zu deren Ausführung sich Süßmayr sicherlich nicht imstande fühlte, sodass er sich auf eine zweitaktige plagale Wendung beschränkt.
Während Mozart die beiden Sätze des Offertoriums wieder zum Großteil selbst geschrieben hat, verbucht Süßmayr Sanctus, Benedictus und Agnus Dei ganz für sich. Da Konstanze jedoch nach dem Tod ihres Mannes „einige wenige Zettelchen mit Musik“ auf Mozarts Schreibtisch gefunden hat, wird häufig die Vermutung geäußert, Süßmayr habe sich bei der Komposition dieser Sätze zumindest auf von Mozart skizzierte Ansätze stützen können.
Die Communio gestaltet Süßmayr nach Art der Reprise durch Wiederaufgreifen von Introitus und Kyrie, beide Sätze lediglich mit einer – teils wenig organischen – Umtextierung versehend; und so endet das Werk wie es begonnen hat – mit der Musik des Genies.
Ave verum corpus KV 618
Die nur 46 Takte umfassende Motette Ave verum corpus für Chor, Streicher und Orgel hat Mozart wohl auf Anfrage des Badener Chorregenten Anton Stoll zum Fronleichnamsfest 1791 geschrieben. Nach der feierlich schlichten Einleitung tut sich mit der enharmonischen Modulation bei cuius latus ein harmonischer Kosmos auf, der weit in die Zeit der Romantik weist. Heute zählt auch dieses Kleinod zu den beliebtesten und vollendetsten Werken Mozarts.